„Sonnencreme verursacht Hautkrebs.“
Vor allem tendenziöse Beiträge auf Social Media und natürlich auch bestimmte Webseiten befeuern das Gerücht Sonnencreme würde Hautkrebs verursachen. Das rührt daher, dass Studienergebnisse oder Aussagen aus dem Kontext gerissen, so falsche Schlüsse gezogen oder gar Zusammenhänge rein interpretiert werden die nicht da sind. Manchmal wird auch einfach so und ohne jegliche Begründung etwas behauptet, das sich nach einer Recherche widerlegen lässt.
Reißerischer und undifferenzierter Content verbreitet sich leider auch deutlich schneller als Fakten. Das liegt unter anderem am Algorithmus der jeweiligen Plattformen, denn Reichweite bzw. Interaktion ist gleichbedeutend mit noch mehr Reichweite und man darf auch nicht vergessen, dass gut recherchierte Inhalte und das Aufarbeiten dieser mehr Zeit benötigen als beispielsweise irgendeinen Mumpitz in die Welt zu setzen, der weder Hand noch Fuß hat. Von Außen betrachtet, benötigt es natürlich ein gewisses Maß an Medienkompetenz um Fakt von Fiktion zu unterscheiden, sowie Graustufen zu erkennen aber da sind wir natürlich wieder bei einem Thema zu dem man wohl lang und breit diskutieren könnte.
Nun habe ich mich auf die Suche begeben und herauszufinden auf welchen Grundpfeilern sich sich das Gerücht „Sonnencreme verursacht Hautkrebs“ stützt und ob diese mit Fakten zum Einsturz gebracht werden können.
In meiner Podcastfolge passend zum Thema könnt ihr euch alle Punkte gern nochmal anhören.
Scheinkausalität und was Nicolas Cage damit zutun hat
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Die Zahl der Hautkrebsbehandlungen hat in den letzten 20 Jahren stetig zugenommen¹. Ähnlich sieht es mit den Umsatzzahlen von Sonnenschutzmitteln aus – auch wenn diese während der Coronapandemie ein ziemliches Tief hatten². Nun wird hier von vielen ein kausaler Zusammenhang hergestellt: nämlich dass Sonnencreme Hautkrebs verursacht. Das nennt sich Scheinkausalität. Denn in Wirklichkeit sind das beides Dinge, die nebeneinander oder gleichzeitig passieren bzw. korrelieren.
Beim Auswerten solcher Statistiken ist es wichtig beeinflussende Faktoren mit einzubeziehen. Zum Beispiel wird seit 2008 das Hautkrebs-Screening von den Krankenkassen übernommen das heißt Hautkrebs wird häufiger erkannt und behandelt. Und ganz im Allgemeinen hat sich die Diagnostik in all den Jahren weiterentwickelt und so die Früherkennung verbessert. Und bei Hautkrebs kommt’s wirklich extrem darauf an, dass dieser möglichst frühzeitig erkannt wird. Ein weiterer beeinflussender Faktor könnte auch der Klimawandel und der damit verbundene Rückgang der Ozonschicht sein, welche uns vor einem Teil der UV-Strahlung schützt. Experten rechnen übrigens mit einer Ozon-Regeneration bis zum Jahr 2066⁴.
Außerdem gibt’s immer mehr einfach zugängliche Informationen zum Thema, was natürlich dazu beiträgt dass die Verkaufszahlen von Sonnencreme & Co. beeinflusst werden könnten.
Fehlinterpretation von Studien
Ein anderer Fehlschluss der gezogen wird, ist auf eine Studie aus dem Jahr 1999⁵ zurückzuführen. Hier kam man zum Ergebnis, dass Personen die ein Produkt mit höherem SPF auftrugen dazu neigten länger in der Sonne zu bleiben – im Schnitt sogar 25 % länger. Dieser Effekt wurde auch in anderen Studien beobachtet⁶⁻⁷. Und wie man weiß, häufen sich durch längere Aufenthalte in der Sonne natürlich auch die Schäden durch UV-Strahlung, was das Hautkrebsrisiko erhöht. Das wiederum wird so ausgelegt – egal ob bewusst oder unbewusst, dass Sonnencreme die Ursache für Hautkrebs sein soll.
Das Problem ist nicht die Sonnencreme. Nicht die Sonnencreme oder die darin enthaltenen Inhaltsstoffe erhöhen das Hautkrebsrisiko – das ist auch nicht das Ergebnis zu dem die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen gekommen sind. Es geht um das Verhalten der Verbraucher und Verbraucherinnen, welche denken sie könnten durch höhere SPF Werte das Sonnenbaden ins Unendliche ausdehnen. Was natürlich nicht stimmt.
Der wissenschaftliche Konsens ist nach wie vor: Sonnencreme ist bei richtiger Anwendung eine gute Möglichkeit das Hautkrebsrisiko zu reduzieren sowie Sonnenbrand zu verhindern. Aber es ist nicht die einzige Maßnahme – ich glaube das vergessen viele. Und auch alle Maßnahmen wie Schatten aufsuchen, Mittagssonne meiden und Kleidung tragen, bieten keinen hundertprozentigen Schutz vor Hautkrebs. Denn dieser kann auch an Stellen entstehen, die keinen oder nur wenig Kontakt zur UV-Strahlung hatten. Deshalb ist Prävention auch so wichtig – wozu das regelmäßige Hautkrebs-Screening zählt. Aber das ist ja bei allem so: es gibt Dinge, die man selbst in die Hand nehmen kann und für alles andere existieren Vorsorgeuntersuchungen.
Vitamin D Mangel und Sonnencreme
Angeblich soll Sonnencreme aber auch zu so extremem Vitamin D Mangel führen, dass man Hautkrebs bekommt. Das ist eins der neueren Gerüchte, die mir vor allem auf Social Media begegnen. Jedoch haben Studien gezeigt dass die tägliche Verwendung eines Produkts mit SPF 15 keinen Einfluss auf die Vitamin D Synthese hat⁸, auch die kurzfristige Verwendung von Sonnenschutzmitteln mit hohen Schutzwerten hat keinen starken Einfluss auf den Vitamin D Spiegel⁹.
Wer aufgrund bestimmter Umstände regelmäßig auf Sonnencremes mit hohem Schutz sowie andere UV-Schutzmaßnahmen wie Kleidung und das allgemeine Meiden der Sonne, zurückgreifen muss oder möchte, sollte seinen Vitamin D Spiegel überprüfen lassen und nach ärztlicher Absprache eine entsprechende Nahrungsergänzung vornehmen. Interessant ist allerdings auch, dass laut Robert Koch Institut in einer Studie mit fast 7000 Teilnehmenden gerade mal 38,4 % der Erwachsenen in Deutschland eine ausreichende Versorgung erreichen, man bei 30,2 % von einem Mangel sprechen kann und der Rest im suboptimalen Bereich liegt¹⁰ – ihr seht, auch hier gibt’s Abstufungen. Hinzu kommt, dass in Deutschland starke saisonale Schwankungen herrschen. Denn für unseren Körper es ist nur zwischen März und Oktober möglich ausreichend Vitamin D zu bilden – an allen anderen Tagen würde es nicht mal etwas bringen splitterfasernackt durch die Gegend zu laufen.
Absurde Versprechen
Ja, Vitamin D ist wichtig aber auch hier werden wieder falsche Schlüsse gezogen. Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass Sonnencreme für den Vitamin D Mangel unserer Bevölkerung verantwortlich ist. Auch gibt’s bisher keine Beweise dafür, dass Vitamin D Supplemente die Entstehung von Krebs verhindern oder diesen gar heilen – diese werden ja gern mit solch undifferenzierten und übrigens auch strafrechtlich relevanten Aussagen gern mal an den Mann bzw. die Frau gebracht. Denn irreführende Werbung mit Heilversprechen kann laut HWG (Heilmittelwerbegesetz) sogar mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr geahndet werden. Ein Vitaminmangel ist nie optimal und bringt Risiken mit sich, aber dieser Mangel lässt sich durch ärztliche Hilfe erkennen und in den meisten Fällen verbessern oder gar beheben.
Hautkrebs ist da schon eine ganz andere Nummer – hinzu kommt, dass phototoxische oder photoallergische Reaktionen auch nicht gerade angenehm sind und noch viele weitere Gründe existieren auf Sonnenschutz zu achten. Deshalb ist der präventive Effekt von Sonnencremes als höherwertig anzusehen als die „natürliche“ Aufrechterhaltung des Vitamin D Spiegels.
Um ein etwas sagen wir mal überspitztes Bild in der Theorie zu konstruieren: wenn jetzt rausgefunden werden würde, dass das Rauchen einen positiven Effekt auf die Vitamin D Synthese hat, würde wohl kaum ein Arzt dazu raten mit dem Rauchen anzufangen um den Vitamin D Spiegel zu regulieren. Da hier risikoärmere Methoden existieren. Und darum geht’s halt immer: welcher Weg oder welche Methode ist risikoärmer?
Quellen
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- Zahl der stationären Hautkrebsbehandlungen binnen 20 Jahren um 75 % gestiegen. (o. D.). Statistisches Bundesamt. https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2023/PD23_21_p002.html
- Statista. (o. D.). Sonnencreme – Deutschland | Statista Marktprognose. https://de.statista.com/outlook/cmo/beauty-personal-care/hautpflege/sonnencreme/deutschland#umsatz
- Spurious correlations. (o. D.). https://www.tylervigen.com/spurious-correlations
- Fernsehen, Z. D. (2023, 9. Januar). Ozonschicht-Regeneration bis 2066 erwartet. Experten erwarten Regeneration der Ozonschicht bis 2066 – ZDFheute. https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/ozon-schicht-loch-erholung-klima-100.html
- Autier, P., Doré, J., Negrier, S., Liénard, D., Panizzon, R. G., Lejeune, F. J., Guggisberg, D. & Eggermont, A. M. M. (1999). Sunscreen Use and Duration of Sun Exposure: a Double-Blind, Randomized Trial. Journal of the National Cancer Institute, 91(15), 1304–1309. https://doi.org/10.1093/jnci/91.15.1304
- Autier, P., Doré, J., Renard, F., Luther, H., Cattaruzza, M. S., Gefeller, O. & Grivegnee, A. (1997). Melanoma and sunscreen use: need for studies representative of actual behaviours. PubMed, 7 Suppl 2, S115-20. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9578426
- Autier, P., Doré, J., Ac, R., Grivegnee, A., Ollivaud, L., Truchetet, F., Chamoun, E., Rotmensz, N., Severi, G. & Cesarini, J. (2000). Sunscreen use and intentional exposure to ultraviolet A and B radiation: a double blind randomized trial using personal dosimeters. British Journal of Cancer, 83(9), 1243–1248. https://doi.org/10.1054/bjoc.2000.1429
- Young, A., Narbutt, J., Harrison, G., Lawrence, K. P., Bell, M. G., O’Connor, C. M., Olsen, P. S., Grys, K., Baczynska, K., Rogowski-Tylman, M., Wulf, H., Lesiak, A. & Philipsen, P. A. (2019). Optimal sunscreen use, during a sun holiday with a very high ultraviolet index, allows vitamin D synthesis without sunburn. British Journal of Dermatology, 181(5), 1052–1062. https://doi.org/10.1111/bjd.17888
- Libon, F., Courtois, J., Goff, C. L., Lukas, P., Fabregat-Cabello, N., Seidel, L., Cavalier, E. & Nikkels, A. (2017). Sunscreens block cutaneous vitamin D production with only a minimal effect on circulating 25-hydroxyvitamin D. Archives of Osteoporosis, 12(1). https://doi.org/10.1007/s11657-017-0361-0
- Rabenberg, M. (2016, 14. Dezember). Vitamin-D-Status in Deutschland. https://edoc.rki.de/handle/176904/2492
Breitbart, Eckhard/Uwe Reinhold (2006): Hautkrebsprävention: Früherkennung und Vorbeugung, 1. Auflage, Hannover, Deutschland: Schlütersche.
Garland, C. F., Garland, F. C., Gorham, E. D., Lipkin, M., Newmark, H. L., Mohr, S. B. & Holick, M. F. (2006). The Role of Vitamin D in Cancer Prevention. American Journal of Public Health, 96(2), 252–261. https://doi.org/10.2105/ajph.2004.045260
HWG – Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens. (o. D.). https://www.gesetze-im-internet.de/heilmwerbg/BJNR006049965.html
Iannacone, M. R., Hughes, M. C. B. & Green, A. C. (2014). Effects of sunscreen on skin cancer and photoaging. Photodermatology, Photoimmunology and Photomedicine, 30(2–3), 55–61. https://doi.org/10.1111/phpp.12109
Neale, R. E., Khan, S. R., Lucas, R. M., Waterhouse, M., Whiteman, D. C. & Olsen, C. M. (2019). The effect of sunscreen on vitamin D: a review. British Journal of Dermatology, 181(5), 907–915. https://doi.org/10.1111/bjd.17980
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